UNIVERSITÄTSARCHIVWESEN UND DIE GESCHICHTE DES ARCHIVVERBANDES DER UNGARISCHEN HOCHSCHULBILDUNG

László Szögi

 

Die Gründung der ersten ungarischen Universitäten fällt zwar mit dem Zustandekommen der wichtigsten Universitäten von Mitteleuropa zusammen, aber wegen der unterschiedlichen geschichtlichen Umstände beendeten die mittelalterlichen ungarischen Universitäten nach kurzer ihre Tätigkeit wieder, so verfügen wir über eine fortlaufende Dokumentation der ungarischen Hochschulbildung erst seit dem 17. Jahrhundert.

Die im Jahre 1635 in Nagyszombat gegründete spätere Budapester Universität war bis 1872 die einzige heimische Universität, an der hier ein Universitätsarchiv nach deutschem Beispiel hätte entstehen können. Denn die im Jahre 1872 in Kolozsvár (Klausenburg) gegründete Universität ist nach einem halben Jahrhundert Tätigkeit außerhalb der heutigen Grenzen geraten. An der beinahe gleichaltrigen Technischen Universität häufte sich jedoch nur langsam  eine solche Menge an Schriftgut an, dass die Gründung eines Archivs überhaupt in Frage kommen konnte. An den Landesuniversitäten und kleineren Fachuniversitäten, Fachhochschulen ?von denen die Mehrheit (außer Selmecbánya, Sopron, Mosonmagyaróvár) während des Dualismus entstanden ist ? wurde das Archivwesen erst am Ende des 20. Jahrhunderts ein akutes Problem.

Auf dieser Grundlage ist es zu verstehen, dass der erste Gründungsplan des Archivs erst im Jahre 1911 an der Budapester Technischen Universität von Békefi Remig ausgearbeitet wurde, aber sein Vorschlag bekam- vielleicht auch wegen des Ersten Weltkrieges ? kein großes Echo. Bedauerlicherweise ist auch zur 300.-ten Jahresfeier der Technischen Universität kein Archiv zustande gekommen, Das ist besonders darum bedauerlich, weil das Universitätsmaterial nach 1950 dann nicht in das Ungarische Landesarchiv geraten wäre. Die dorthin geratenen Schriften sind nämlich im Herbst 1956 beim Brand des Archivs vernichtet worden und das ungarische Archivwesen hat so beträchtlichen Schaden erlitten.

Die einzige positive Folge der Verwüstung war, dass sich das erste ungarische Universitätsarchiv an der Budapester Eötvös Lorand Universität im Jahre 1958 gebildet hat, um die übrig gebliebenen Schriften zu sammeln. Das kleine Institut arbeitete lange Zeit allein und unter einfachen Umständen. Diese Lage begann sich erst am Anfang der 1970er Jahre zu verändern. Fast zur gleichen Zeit begann eine neue Aufnahme von Akten und deren große Systematisierung und Erschließungsarbeit an der Eötvös Loránd Universität, an der Budapester Technischen Universität, in Miskolc und in Sopron. An mehreren Orten bildeten sich Archivabteilungen im Rahmen der Universitätsbibliotheken, die Entwicklung des offiziellen Archivwesens vorbereitend. Im Jahre 1975 erschien das erste akademische Archivsrepertorium. Als Folge dieser Arbeit bildete sich im Jahre 1982 ein Facharchiv an der Miskolcer Universität, und denselben Rang bekam das längst existierende Archiv der ELTE im Jahre 1983. Im Jahr darauf entstand mit Ministerialgenehmigung ein Universitätsarchiv an der Universität in Sopron. In der zweiten Hälfte der 70er und in den 80er Jahren begannen neue Archivsystematisierungsarbeiten an mehreren Universitäten, deren Folge es war, dass die Sammlungen der Tierärztlichen Universität 1986,der Agraruniversität in Keszthely und der Budepester  Wirtschaftsuniversität 1987 die Rechtsstellung von Facharchiven bekamen.

Vor der Wende existierten also sechs Facharchive offiziell in Ungarn, aber in mehreren Instituten liefen solche Arbeiten schon seit einigen Jahrzehnten, die die weiteren Archivgründungen erleichterten. Auf dieser Grundlage ist es nicht überraschend, dass vier neue akademische Facharchive am Anfang 1993 gleichzeitig die Tätigkeitserlaubnis bekamen: in der Hauptstadt die Technische Universität, die Semmelweis Universität für Medizinische Wissenschaften, die Universität für Gartenbau und Lebensmittelwissenschaft, und in Gödöllő die Agraruniversität.

Nachdem aus den zehn genannten Universitätsarchiven acht nicht weit entfernt von Budapest gearbeitet hatten und ihre Geschichte in der Vergangenheit so oft auch organisatorisch verbunden war, ergab sich folgerichtig der Gedanke, dass die Tätigkeit der Archive und der weiteren Hochschulinstitutionen der Region miteinander harmoniert werden müsste und die vorhandenen Kräfte und Fähigkeiten unter den schweren wirtschaftlichen Umständen besser ausgenützt werden sollten. Das Ministerium für Bildung und Kultur schlug mit Rücksicht auf diese Faktoren im Sommer 1992 den Hochschulinstituten der Budapester Region vor, einen Archivverband ins Leben zu rufen. Beabsichtigt war weder eine Zentralisierung noch ein Abtransport des Schriftgutes von dem Entstehungsort, was nicht nur die Autonomie der Instituten verletzt hätte, sondern auch den schon genannten Wissenschafts- und Forschungsinteressen widersprochen hätte.

Die meisten Institute der Region reagierten positiv auf den Vorschlag und im Herbst 1992 wurde das Archiv der ältesten, fortlaufend tätigen heimischen Universität -ELTE- als Zentrale des künftigen Verbandes bestimmt.

Nach den von dem Ministerium für Bildungswesen vorbereiteten Verhandlungen im April und Mai 1993 haben alle Rektoren der zur Budapester Agglomeration gehörenden Universitäten und Hochschulen den Gründungsplan des Verbandes (Budapest-Gödöllői Egyetemi és Főiskolai Levértári Szövetség) diskutiert und einen Beschluss gefasst.

Von den 24 Universitäten und Hochschulen haben 21 Hochschulinstitute beschlossen, in einen Verband einzutreten. Die drei verbliebenen Institute haben erklärt, dass sie mit den Zielen des Verbandes grundsätzlich einverstanden sind, aber noch nicht eintreten möchten.

In den angeschlossenen Facharchiven haben 12-13 Personen gearbeitet, von denen die Hälfte über ein Fachdiplom (Geschichte oder Archivardiplom) verfügt. Die Facharbeit des Verbandes wird auf der Arbeit dieser engen fachmännischen Gruppe gründen, die mit den angeschlossenen Instituten gemeinsam zur Erfüllung bedeutender archivarischer Aufgaben fähig sind. Laut der ausgearbeiteten Satzung ist der Verband eine ?als facharchivarisches Netzwerk tätige Organisation der Archive und der Zentralregistraturen der Region und der zum Verband freiwillig angeschlossenen Universitäten und Hochschulen?, der ?keine selbstständige Rechtsperson ist, seine Aufgabe im Auftrag der angeschlossenen Instituten und laut übertragener Kompetenz erfüllt?. Der Verband hat andere Aufgaben bei den Mitgliedsinstituten gelöst, wo schon ein Facharchiv existiert, und wieder andere dort, wo es noch keines gibt. Über die konkrete Form der Zusammenarbeit haben die betroffenen Universitäten und Hochschulen individuelle Vereinbarungen mit dem Verband geschlossen, die die übernommenen Aufgaben und Verpflichtungen gegenseitig gefestigt haben.

Der Verband hat mit den Archiven der Mitgliedsuniversitäten Vereinbarungen unterschrieben, in denen er in erster Linie die Organisationsarbeiten und die Institute die Publikation der ausgearbeiteten Materialien und Quellenausgaben übernommen haben. Seit Mitte der 90er Jahre kann sich das Ergebnis der Arbeit sehen lassen. Fast jährlich ist ein neues Universitätsfacharchiv entstanden, 1995 an der ungarischen Kunstbildungshochschule (Universität), 1997 an der ungarischen Sportuniversität, 1998 an der ungarischen Kunstgewerbeuniversität, 1999 an der Universität in Veszprém.

Der Archivrat des Verbandes hat im November 1996 seine Satzung verändert und wollte seine Tätigkeit auf das ganze Land ausbreiten. Die Veränderung des offiziellen Namens hat diese Absicht gezeigt. 1996 hat sich der Ungarische Universitäts- und Hochschularchivverband gebildet, an deren Arbeit sich auch die Archive der Landesuniversitäten und Hochschulen beziehungsweise Universitätsgeschichtliche Sammlungen angeschlossen haben.

Ein wichtiges Ergebnis der Arbeit des Verbandes war die Vorbereitung und die Ausgabe eines gemeinsamen ungarischen Universitätsfond- und Bestandverzeichnisses. Eine allgemeine Ausgabe des ungarischen bildungsgeschichtlichen Archivarquellenverzeichnisses wurde schon in der zweiten Hälfte der 70er Jahre geplant. József Antall, der Direktor des Museums und Archivs für Medizingeschichte hat am 8. Juni 1976 vorgeschlagen, den institutionellen Rahmen eines Universitätsarchives ins Leben zu rufen. Damals hat man daran gedacht, dass die unterschiedlichen Quellenmaterialien des Hochschulwesens, die in Landes ? und Bezirks- beziehungsweise in kirchlichen Archiven aufbewahrt sind, mit den Informationen über die an der Universitäten und Hochschulen erhalten gebliebenen Materialien ergänzt werden sollen. Das Arbeitsteam hat sich in dieser Angelegenheit mit einem Rundschreiben an die ungarischen Archive und Hochschulen gewendet und aufgrund der Antworten wollte es eine Liste der Archivdokumente der ungarischen Hochschulbildung herausgeben. Am Anfang der 80er Jahre bildete sich die Ungarische Nationalkomission der Internationalen Kommission der Universitätsgeschichte und setzte das Thema mit Aktualisierungen auf die Tagesordnung. József Antall bat László Szögi und Endre Szemkeő um die Publikation. Die in der zweiten Hälfte der 80er Jahre zurückgesandten Antworten der Archive und Hochschulen hatten leider nur darauf hingewiesen, dass zwar sehr viele und wertvolle Archivmaterialien trotz der der Verwüstungen angehäuft wurden, aber 95% der Bestände unbearbeitet und bei den verschiedenen Organisationseinheiten verstreut ,also praktisch nicht zugänglich sind. So konnte man auf Grund der gegebenen Informationen kein brauchbares Forschungsbehelf ausgeben. Von den Budapester Universitäten und Hochschulen hatten nur zwei bis drei damals schon systematisiertes Schriftgut, bei den anderen gab es kaum zur Verfügung stehende Angabe. Auf dem Lande haben die Landesarchive (z.B. in Pécs, Debrecen, Szeged) die Universitätsschriften übernommen, aber diese Serien waren nicht vollständig, manche Teile waren nicht zugänglich und blieben an den Universitäten. All diese Faktoren haben die Ausgabe eines Behelfes mit einheitlicher Struktur nicht ermöglicht.

Unter den unterschiedlichen Universitäten mussten rationelle Austausche durchgeführt werden, damit die Sammelkreise gut begrenzt werden konnten. Das Archiv der ELTE hat so mehreren anderen Universitätsarchiven Materialien übergeben. Eine kleinere Menge Schriftgüter haben die Universitätsarchive von dem Ungarischen Landesarchiv, von Bezirksarchiven und von dem Parteiarchiv der ehemaligen MSZMP bekommen.

Bei der Redaktion der Publikation war eine Grundprinzip, dass wir nur über solche Hochschulinstitute Daten ausgeben, wo die Systematisierung mit unserer Kontrolle schon so durchgeführt ist, dass die Forscher das in das Archiv geratene Schriftgut in wirklich gut aufgearbeitetem Zustand gebrauchen können. Dabei haben wir auch danach gestrebt, alle Universitäts- und Hochschulsammlungen mit facharchivarischer Rechtsstellung vorstellen zu können. Die Systematisierungsarbeiten haben 1997 den Punkt erreicht, an dem wir schon ein Fond- und Bestandsverzeichnis mit richtigen Angaben ausgeben konnten. Dementsprechend haben wir in dem ersten Band die Archive von dreizehn ungarischen Hochschulinstituten vorgestellt. Aus den Instituten hat eins ? die Kandó Kálmán Technische Hochschule ? die facharchivarische Rechtsstellung noch nicht bekommen, aber die von uns durchgeführte Systematisierung ist gleich mit der Systematisierung der anderen. Unter den zwölf Facharchiven sind vier auf dem Lande (in Gödöllő, Keszthely, Miskolc, Sopron..) In dem Archiv der Universität in Miskolc unterscheidet sich die Struktur der Arrangierung von den anderen nur insoweit, dass man da auch Hauptfondgruppen verwendet hat. Diese Grundeinheit wird von den anderen Universitäten nicht benutzt. Aber das beeinflusst das Niveau der Forschung und Zugänglichkeit nicht.

Jetzt können wir sagen, dass die in Ungarn entstandenen 15 Universitätsarchive gemeinsam mehr als 4000fm Schriftmaterial mit geschichtlichem Wert aufbewahren und sie  organischer Teil des ungarischen Netzwerkes der Archive geworden sind. Nach der Integration der Hochschulbildung im Jahre 2001 gehören diese Archive zu zwölf Universitäten, also an mehreren Stellen ist eine wichtige Aufgabe die Richtung nach der neuen Rahmenstruktur.

Der in den letzten Jahren staatlich gewordene Verband hat mehrere Versuche gemacht, damit sich die Landesuniversitäten auch an die universitätsarchivarische Arbeit anschließen, aber die Wirkung dieser Anstrengungen ist noch nicht spürbar. Man hat in den neuen zentralisierten Universitäten in den Großstädten (Debrecen, Szeged, Pécs) das Zustande bringen eines Facharchivs vorgesehen, aber dessen personale und sachliche Bedingungen sind noch nicht gesichert.

Im Jahre 2001 hat die Generalsammlung des Ungarischen Universitäts- und Hochschularchivverbandes die Entstehung eines Vereins zugesagt und hat den offiziellen eingetragenen Ungarischen Archivverband der Hochschulbildung als selbständige archivarische Fachorganisation bestätigt.

Der Verband lässt sich in den gemeinsamen Fachgremien und Kommissionen vertreten und hilft mit seinen Mitteln bei der Entwicklung der Archivararbeit.